KfM (Kilometer für Müllessen)

Damit die Wand aus Suchtdruck nicht immer nur größer wird, habe ich ein System, das es mir erlaubt, für bereits mit dem Fahrrad gefahrene Kilometer Zuckerzeugs zu essen.

KfM ist ein System, das ich für mich über die Jahre so “entwickelt” habe und das für mich funktioniert. Ich habe nicht den Anspruch, dass das für jeden Menschen funktionieren muss. Wenn es dir hilft, mit Sucht umzugehen, dann ist es schön.

hinweis

Ich habe ein paar Rückmeldungen und Fragen zum KfM bekommen und möchte ganz deutlich klarstellen: Es geht bei KfM nicht darum, Fahrrad zu fahren, nur um dadurch Kilometer zu bekommen, um dadurch der Sucht zu fröhnen, statt sich mit der grundlegenden Problematik der Esssucht zu beschäftigen.

Ich fahre Fahrrad, weil es mir Mobilität, Selbständigkeit und Freiheit ermöglicht. D. h. ich bin jedes Jahr aktuell um die 8000 km mit dem Fahrrad unterwegs.

Bei KfM geht es darum, dass ich die sowieso gefahrenen Kilometer als eine Art Anker sehe, der mir zeigt, dass ich selten mal und ohne schlechtes Gewissen Süßkram essen kann, da ich damit nur einen kleinen Bruchteil der bereits verfahrenen Kalorien esse.

Wozu KfM (Kilometer für Müllessen)?

Ich hatte schon immer ein Problem mit Essen und vor allem mit stark zuckerhaltigem Zeug (nein, das ist keine Nahrung, deshalb nenne ich das abfällig Müllessen). Deshalb hatte ich mein Leben lang versucht, mich immer wieder in Abstinenz solcher Lebensmittel zu ernähren. Das funktionierte, wenn überhaupt, immer nur kurzzeitig. Zucker wird überall im Alltag angepriesen und man kann sich dem nicht entziehen. Man müsste schon übermenschlich sein, es auszuhalten, so etwas niemals wieder zu essen.

Ich möchte “mein System” hier dokumentieren, weil es möglicherweise anderen Menschen helfen könnte, mit Esssucht umgehen zu lernen.

Ich verwende die Abkürzung KfM sowohl für das System als auch als Einheit für angesparte Kilometer (siehe unten).

Grundannahmen

Von folgende Annahmen bin ich fürs KfM ausgegangen:

  • Fürs Radfahren eines Kilometers (1 km) gibt dieser Blog (bei mittlerer Geschwindigkeit) z. B. einen Kalorienverbrauch von 23 kcal an. Da ich so gut wie auf jeder Strecke viele Höhenmeter fahre, wird es für mich vermutlich deutlich mehr sein.
  • 1g Schokolade hat ca. 5,5 kcal (bei 550 kcal pro 100 Gramm), 1 g Zucker hat ~ 4 kcal.
  • Für jeden Kilometer Radfahren, bei dem ich ~20 kcal verbraucht habe, darf ich dann später ungefähr 1/4 des Verbrauchs, also 5 kcal, an Müllessen zu mir nehmen. Das sollte passen.
  • Ich nutze die eigene Einheit KfM: 1 km (Radfahren) == 1 g Zuckerzeug == 1 KfM

(Da ich annehme, beim Gehen/Laufen mehr zu verbrauchen, gibt es dafür pro Kilometer 2 KfM.)

Regeln

Ich habe für KfM einige Regeln definiert, ohne die das System nicht funktioniert:

  • Guthaben sparen ist erlaubt. Wenn ich drei Tage lang jeden Tage 35 km fahre, habe ich bei Ankunft am Ziel am dritten Tages 105 KfM und könnte damit eine 100 g Schokolade essen oder auch nur einen Schokoriegel mit 30 g und morgen 50 g Kekse und den Rest weiter sparen.
  • Es gelten nur Kilometer, die ich bereits gefahren habe, nicht die, die ich an diesem Tag vermutlich noch fahren werde.
  • Reste oder ungeöffnete, somit “legal” nach KfM erworbene Sachen darf ich Zuhause liegenlassen oder auch im Gepäck beim Radfahren mitnehmen.
  • Immer versuchen, nicht alles zu essen, sondern immer auch etwas übrig zu lassen, falls Suchtdruck später, aber nicht genügend Guthaben. (Dafür gibt es eine eigene, verschließbare Dose Zuhause.)
  • Nur der Kauf von passend großen Verpackungen erlaubt. D. h. bei Guthaben von 90 KfM keine 100 g Schokolade erlaubt, auch wenn man dann 10 g wegwerfen würde.
  • Als Wert für die gefahrenen Kilometer gilt der Wert, der auf dem Fahrradcomputer steht.
  • Auf das Tagesblatt (Meine Notizen für die Todos des nächsten Tages) aktuelles Guthaben eintragen.
  • Immer dokumentieren, was ich wann und mit welchen Kilometern gekauft/gegessen habe und wie es mir dabei/danach ging.
  • Wenn ich KfM esse, dann nicht nebenbei, sondern voll darauf konzentrieren, sehr langsam essen, schmecken lassen und in Ruhe essen. Und immer erst nach dem Zweiten Essen, nicht einfach so zwischendurch, schon gar nicht unterwegs.
  • Tag x (siehe unten) läuft weiter, wenn ich innerhalb des KfM-Guthabens Dinge gekauft habe.
  • Versuchen, Suchtdruck erst einmal über Alternativen zu stillen (z. B. viel Wasser trinken, Gemüse, normales Essen). Nur KfM essen, wenn das nicht funktioniert hat. Man kann trotzdem, bei vorhandenem Guthaben, vorher schon KfM unterwegs kaufen.
  • Zusätzlich gibt es Tag x, Sondervermögen und Krankenjoker
hinweis
KfM ist kein schön formulierter “erlaubter” Ersatz für Suchtverhalten. Man muss sich keine Illusionen machen, dass man mit KfM dem Suchtdruck weiterhin jederzeit “nachgeben” kann. So viele Kilometer kann ich zumindest gar nicht fahren, die ich bräuchte, um mein bisheriges Essverhalten so weiterzuführen, wie es zwischendurch immer wieder war (und auch in Zukunft bei Rückfällen sein könnte). Dazu bräuchte ich jeden Tag tausende Kilometer. KfM ist nur dazu da, den enormen Suchtdruck rauszunehmen, da Müllessen ab und zu, aber selten, erlaubt ist.

Tag x?

Für Motivationszwecke zähle ich die Tage, an denen ich es geschafft habe, der Sucht nicht zu verfallen. Sollte ich mal mehr KfM ausgeben, als ich Guthaben zur Verfügung hatte, dann ist der “Streak” vorbei und es ist Tag 0. Der folgende Tag ist wieder Tag 1, usw.

Sondervermögen

Ein Problem bei meinem System KfM war anfangs, dass es Dinge gibt wie Eis, bestimmte Kekse usw, nach denen der Suchtdruck immer größer wird, die ich mir aber nur übers Erfahren von Kilometern gar nicht leisten könnte oder nur extrem selten, weil solche Packungen meist mindestens 500 g oder mehr wiegen. Wenn ich nur an die bisherigen Regeln halten würde, könnte ich mir das dann nur einmal im Monat leisten und der gesamte Zweck von KfM wäre hinfällig, weil es immer nur eine Sache pro Monate gäbe, da alles Guthaben nur dafür draufgehen würde.

Deshalb habe ich später noch das “Sondervermögen” hinzugefügt, das auf folgenden Regeln basiert und mit Tag x zu tun hat:

  • Sobald 10 Tage ohne Rückfall angespart UND abgeschlossen sind, ist es erlaubt, 1 Produkt der oben genannten Kategorie zu kaufen, ohne das KfM-Guthaben zu belasten.
  • Die 10 Tage sind sparbar, das Verfallen erzeugt sonst Verlustdenken und somit wieder Suchtdruck.
  • Wenn ausgeben, dann die Umstände genau dokumentieren und auch, was gekauft wurde, wie verzehrt usw.
  • Tag x zählt weiter und wird nicht auf 0 gesetzt.

Beispiel: Wenn heute Tag 30 wäre, hätte ich 29 Tage Sondervermögen angespart. Da der heutige Tag 30 noch nicht vorbei wäre, wären erst 29 Tage im Guthaben Sondervermögen. An diesem Tag könnte ich eine Portion Eis oder besagte Kekse einfach so kaufen und essen.

Krankenjoker

Ein weitere Problem mit meinem System KfM gibt es bei Krankheit, wenn ich dadurch länger nicht unterwegs sein kann und kein Guthaben ansammeln kann. Auch dann wird die Wand immer größer. Deshalb habe ich noch den “Krankenjoker” hinzugefügt.

Regeln:

  • Wenn ich richtig krank bin, also 1 Woche oder länger, und deshalb gar nicht Fahrrad fahren kann, dann gibt es für die gesamte Krankheitszeit genau 1 (in Zahlen: EINS) Joker fürs Sondervermögen.
  • Diesen Joker erst nach 1 Woche nutzen. Umstände dokumentieren.
  • Es ist erlaubt, diesen Joker dauerhaft zu anzusparen.
  • Tag x zählt weiter und wird nicht auf 0 gesetzt.

Wieso ich KfM (Kilometer für Müllessen) so gut finde

Ein ganz großes Problem bei Suchtdruck war für mich immer, dass ich den Suchtdruck hatte und wusste, dass ich ihn für immer aushalten musste, weil ich nie wieder Müll essen durfte. Das ist eine Wand, die immer größer wird. Mit dem KfM-System gibt es diese Wand nicht mehr, denn ich weiß, dass ich jederzeit wieder mal den Suchtdruck weg bekomme, indem ich Guthaben anspare. Und dafür muss ich nur Fahrrad fahren und kann somit im Sommer auch mal mit Genuss ein Eis essen.

Ich kann mein KfM mit anderen Menschen klar kommunizieren und muss das Suchtverhalten und Kauf von solchen Dingen nicht mehr heimlich tun.

Erfahrungen aus der Praxis

  • Nicht so lange wie möglich Guthaben ansparen, sondern zwischendurch auch bei wenig Suchtdruck etwas kaufen, damit der Suchtdruck nicht zu groß wird, da dann die Rückfallgefahr viel größer ist.
  • Immer gut, so ungefähr 100 KfM Guthaben zur Verfügung zu haben, damit man schnell auf akuten Suchtdruck reagieren kann.
Zuletzt geändert 2023-08-04 23:33:00 +0200 CEST durch me (klarstellung, was kfm nicht ist, 9aad6b8)